Selbstverteidigung für Tantrakurse und Berührungsworkshops
Tantra, Workshops mit Berührung und generell Selbsterfahrung können heilsam und transformierend sein – und zugleich herausfordernd. Viele laden dazu ein, die eigene Komfortzone zu verlassen, Grenzen zu weiten und sich für intensive Erfahrungen zu öffnen. Doch was passiert, wenn diese Grenzen dabei übergangen werden?
Ich schreibe hier aus meiner persönlichen Erfahrung. Über Jahre habe ich in tantrischen Kreisen gelernt, gestaunt, mich begeistert – und gleichzeitig erlebt, wie wichtig es ist, die eigenen Grenzen zu kennen und zu verteidigen. Für mich bedeutet spirituelle Entwicklung nicht, um jeden Preis über mich selbst hinwegzugehen, sondern meine Wahrheit zu spüren, Nein zu sagen, wenn es nötig ist, und so meine Komfortzone von innen heraus wachsen zu lassen.
Dieser Artikel ist eine Einladung, Tantra und Berührungsräume mit Achtsamkeit zu betrachten: Wo braucht es Selbstschutz? Wie kann ein klares Nein aussehen? Und warum ist es ein Akt der Selbstliebe, die eigenen Grenzen zu wahren?
Die Realität vieler Tantrakurse – und sexpositiver Räume
Meine Erfahrung zeigt: In vielen Tantrakursen geht es weniger um sanftes Hineinspüren, sondern darum, die Komfortzone so schnell wie möglich zu sprengen. Grenzen sollen überwunden werden, Offenheit wird zur Tugend erklärt – koste es, was es wolle. Da wird nackt geatmet und berührt – mit einem Menschen, den man nur flüchtig aus dem Willkommenskreis kennt. Übungspartner:innen werden oft per Abzählen oder Los bestimmt. Nähe wird zum Pflichtprogramm, ob man will oder nicht. Und das betrifft nicht nur Tantra. Auch in sexpositiven Räumen – von Festivals über Play-Partys bis zu Intimitäts-Workshops – wird oft mit einer ähnlichen Haltung gearbeitet: „Je weiter du dich öffnest, desto weiter kommst du.“ Nähe wird inszeniert, Partner:innen werden blind zugeteilt, und das Nein bleibt zu oft auf der Strecke.
Doch was ist mit all jenen, die (noch) nicht „alles“ wollen? Was ist mit Menschen, die feine Antennen haben, bei denen der Körper laut Stop sagt, während die Gruppe nach mehr Offenheit drängt?
„Alles was wir geistig tun, seelisch fühlen und in Beziehung gestalten, findet seinen Niederschlag in körperlichen Strukturen.“- Joachim Bauer
Grenzen sind kein Hindernis – sie sind der Weg
In den vielen Jahren des Workshop-Hoppings habe ich unzählige Übungen mitgemacht und einige Übungspartner:innen gehabt, bei denen meine Intuition oder mein Bauchgefühl laut und deutlich Stop! gesagt haben. Ich bin über meine Grenzen gegangen, wieder und wieder. Die Angst vor der nächsten schrecklichen Erfahrung, dem nächsten Kompromiss wuchs. Mein Körper wurde fester statt offener. Denn so reagieren Körper: sie sind intelligent. Wenn wir nicht auf sie aufpassen, übernehmen sie den Job selbst. Sie schützen sich. Sie werden taub, stumpfen ab und weigern sich schlicht und ergreifend, erneut und immer wieder schreckliche oder auch nur unangenehme Erfahrungen zu machen.
Das Problem ist, dass der Körper nicht nur partiell oder eventgebunden abstumpft, sondern generell. Die Folge: Wir fühlen weniger. Weniger Schmerz, weniger Ekel, weniger Traurigkeit – aber auch weniger Freude, weniger Erregung, weniger Wohlgefühl. Unsere naturgegebene Ekstasefähigkeit rückt in immer weitere Ferne, Hingabe bleibt ein schönes Wort auf Affirmationszettelchen.
Heute mache ich das nicht mehr. Ich sage Nein. Ich wechsle Übungspartner:innen oder setze auch mal eine Übung aus. Das kostet mich immer noch Überwindung, weil es meine momentane Begrenzung sichtbar macht. Doch es beweist auch meinen Mut, mich zu zeigen – so wie ich gerade bin.
Bis es soweit war, habe ich jedoch lange gebraucht. Ich hielt die gängige Herangehensweise – über die eigenen Grenzen hinwegzugehen – für den einzig wahren Weg. Für mich aber war sie schlicht kontraproduktiv. Mein spiritueller Entwicklungsprozess verlangsamte sich, je öfter ich meine eigenen Grenzen missachtete.
Eine kluge Frau sagte einmal zu mir: „Der Sinn von Workshops ist nicht, dass du dort Übungen mit Menschen machst, bei denen du am liebsten kotzen würdest.“ Drastisch, weise – und für mich viel zu spät. Denn genau das hatte ich jahrelang getan. Mein Anspruch an mich selbst war, jeden Menschen anzunehmen, wie er oder sie ist. Dass das auch mit Abstand geht, war mir nicht klar. Ebenso wenig, dass ich zuerst lernen musste, mich selbst anzunehmen – mit meinen Grenzen, Vorlieben und Abneigungen. Und diese können auch das Eingeständnis beinhalten: „Ich möchte mit dir diese Übung nicht machen.“ / „Ich kann dich nicht riechen.“ / „Du bist mir unsympatisch.“ Der Weg ist nicht, Alle in bedingungsloser Annahme an mich heranzulassen, der Weg ist, bewusst auszuwählen. Und ja, natürlich kann man durch jede Begegnung etwas lernen. Aber vielleicht besteht die Lektion nicht darin, es auszuhalten, sondern darin, Nein zu sagen. Meine Erfahrung: Meine Komfortzone wächst, wenn ich meine Grenzen wahre. Und genau innerhalb dieser Grenzen beginnt das echte, aufregende und herausfordernde Leben.
„Sei nicht ok mit etwas. Finde es gut oder lass es.“ – Betty Martin
„Geschenke“ des Nein-Sagens und der Selbstverteidigung
In Tantra- und Massageworkshops geht es oft darum, feinste Energieströme wahrzunehmen und die Intuition zu stärken. Doch wie soll das gehen, wenn dieselbe Körperintuition gleichzeitig an anderer Stelle zum Schweigen gebracht wird? Wie soll ich einen sanften Energiefluss spüren, wenn mein Körper innerlich eingefroren ist und mein ganzes Wesen nur hofft, dass die Übung bald vorbei ist?
Am Ende bleibt oft nichts als die innere Notiz: „Nie wieder mit diesem Menschen!“ Der Rest des Workshops besteht dann aus Ausweichen, Abblocken und dem Hoffen auf angenehmere Partner:innen.
Meiner Erkenntnis und mittlerweile tiefen Überzeugung nach geht es nicht darum, Grenzen permanent zu überschreiten, sondern sie wahrzunehmen und wertzuschätzen. Grenzen haben einen Sinn. Werden sie ernst genommen, weiten sie sich meiner Erfahrung nach von ganz alleine – einfach, weil wir sie achten. Meine Komfortzone ist immer dann größer geworden, wenn ich sie respektiert habe. Und sie wurde kleiner, je öfter ich mich zwang, sie zu verlassen.
Diese Art der Selbstverteidigung erfordert Mut. Mut, sich vor allen hinzustellen und einen Prozess zu stoppen. Mut, auch mal mit der Leitung zu diskutieren, der man eigentlich vertraut. Es kostet Kraft und Nerven – und zeigt gleichzeitig Größe. Schlechte Lehrer:innen reden dich wieder in die Übung hinein. Gute Lehrer:innen hören dein Nein, akzeptieren es und finden eine Lösung. Sie lassen dir deine Eigenverantwortung – und genau die sollte in jedem Workshop wachsen.
Das Geschenk liegt darin: Indem ich Nein sage, sage ich Ja zu mir. Und dieses Ja eröffnet einen viel tieferen Raum für echte Begegnung, für Intimität und natürlich auch für die feinen Energieströme, nach denen wir doch alle suchen. 😉
Grenzen wahren – Freiheit gewinnen
Du hast Vorlieben und Abneigungen – gesteh sie dir zu!
Such dir Räume, in denen du das ausprobieren und üben kannst, denn Grenzen und Consent brauchen Übung. Renn zu der Person, mit der du die Übung gerne machen möchtest, und sei mutig, als Erste:r zu fragen. Und wenn dich jemand bittet, bei dem dein Körper ein klares Nein spürt, dann sprich es aus. Zeig dich. Steh zu dir. Denn du bist einzigartig – und dein Nein ist genauso wertvoll wie dein Ja.
Im KuschelRaum findest du solche Übungsräume:
In unseren Conscious Cuddle Experiences – den Kuschelpartys – gilt: Es gibt keine Übungen mit Blindfold, keine Zwangsberührungen. Du hast jederzeit ein Recht auf dein Nein – es muss weder erklärt noch gerechtfertigt werden. Nein ist ein vollständiger Satz. In unseren Workshops eröffnen wir Räume für Austausch, Fragen und vertiefende Übungen rund um Nähe, Intimität und Consent. Hier kannst du dich ausprobieren und deine Erfahrungen Schritt für Schritt erweitern. Genau aus diesen Gründen sind unsere Räume ein wunderbarer Übungsplatz, um dich auf Tantrakurse, andere Intimitätsräume und natürlich das Leben in freier Wildbahn vorzubereiten.
Und wenn du dir noch mehr Sicherheit wünschst, kannst du zusätzlich eine Einzelsession mit unseren Kuscheltherapeut:innen buchen. Sie sind geschult darin, einen sicheren Raum zu halten, in dem du dich ausprobieren, lernen und neue Erfahrungen sammeln kannst – in deinem Tempo, in deinem Maß.
„Ich kann mit Fug und Recht sagen: In den vier Jahren, in denen ich regelmäßig kuschle, habe ich mehr Entwicklung und tiefere Erkenntnisse erlebt als in den 20 Jahren intensiver Selbstauseinandersetzung und spiritueller Suche. Ich kuschle meine Komfortzone von innen größer. Meine neue Klarheit und Freiheit ist hart erkuschelt.“ – Angeline
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