Selbstverteidigung für Tantrakurse und Berührungsworkshops

Mein Background ist ein tantrischer. Ich habe mich lange in der tantrischen Welt herumgetrieben und weiß, wovon ich rede. Natürlich spreche ich hier von meinen Erfahrungen und meinen Schlussfolgerungen. Ich erhebe nicht den Anspruch universeller Gültigkeit. Menschen sind unterschiedlich und für manche mag die tantrische Welt, so wie sie jetzt gerade ist, genau das richtige für ihre Weiterentwicklung sein – für mich ist sie es nicht. Meiner Erfahrung nach geht es in vielen Tantrakursen vor allem darum, die Komfortzone so schnell wie möglich zu erweitern, die eigenen Grenzen zu sprengen und offen und empfänglich zu werden für die versprochene Ekstase am Horizont – no matter what. Da wird (nackt) berührt und geatmet – wenn man allein aufkreuzt – mit einem Menschen, den man nur dem Namen nach vom Willkommenskreis her kennt.

„Dein Herz und deine Intuition zeigen dir in jedem Augenblick ob etwas für dich stimmt, oder nicht.“ – Herzgedanken

Viele Workshops der Selbsterfahrung und spirituellen Evolution beinhalten Berührungsübungen und somit Nähe mit gerade erst kennengelernten Menschen. Gang und gäbe sind Übungspartnerwechsel, die manchmal auch einfach per Abzählen oder Los entschieden werden.

Das Funktioniert meines Erachtens nur, wenn man schon erleuchtet ist, denn nur dann liebt man wirklich jeden bedingungslos und von ganzem Herzen (Stichwort: Göttlicher Funke – wir sind alle EINS).

selbstverteidigung für tantrakurse

Bis es soweit ist, halte ich diese Herangehensweise für semioptimal denn mein Weg der spirituellen Entwicklung verlangsamt sich eher wenn ich meine Grenzen permanent verletze. Ich bin noch nicht erleuchtet, ich weiß nicht, wie es dir geht. Mir fällt es des öfteren noch sehr schwer, jemand x-beliebigen bedingungslos anzunehmen. Manche Menschen sind mir einfach unsympathisch und andere kann ich partout nicht riechen. Da versagt dann auch die altbewährte Methode, mir selbst einzureden, dass alles in Ordnung sei und das Gegenüber natürlich auch.

Eine kluge Frau hat mal zu mir gesagt: „Der Sinn von den Workshops ist nicht, dass du dort Übungen mit Menschen machst, bei denen du am liebsten kotzen würdest.“ Drastisch, weise und viele Jahre zu spät.

Denn genau das habe ich getan, wieder und wieder, weil mein Anspruch an mich selbst war, jeden Menschen so anzunehmen wie er ist. Unklar war mir, dass das durchaus auch mit räumlichem Abstand gehen kann. Und unklar war mir auch, dass ich erst einmal mich selbst annehmen darf, mit meinen Grenzen, Vorlieben und Abneigungen. Und ja, man kann natürlich mit und durch jede Person ganz tolle Sachen lernen, aber vielleicht ist die tolle Sache auch einfach mal Nein zu sagen.
Ich habe folgendes festgestellt: Meine Komfortzone wächst, wenn ich meine Grenzen wahre und dann findet das tatsächliche und auch aufregende und herausfordernde Leben innerhalb dieser Grenzen statt.

„Sei nicht ok mit etwas. Finde es gut oder lass es.“ – Betty Martin

In Tantra- und Massageworkshops geht es oft darum, feinste Energieströme wahrzunehmen und die Intuition zu stärken. Doch wie soll das gehen, wenn man dieselbe Körperintuition gleichzeitig an anderer Stelle zum Schweigen bringt? Wie soll man einen sanften Energiefluss wahrnehmen wenn der Körper gleichzeitig eingefroren ist und das ganzes Wesen nur hofft, dass die Übung bald vorbei ist. Ist sie vorbei wird als innere Notiz gespeichert: Nie wieder mit diesem Menschen! Der Rest des Workshops besteht aus dem Vermeiden der Wiederbegegnung und dem Hoffen auf angenehmere Übungspartner.

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In den vielen Jahren des Workshop-Hoppings habe ich viele Übungspartner gehabt, bei denen meine Intuition oder mein Bauchgefühl laut und deutlich Stop! gesagt haben. Ich bin über meine Grenzen gegangen, wieder und wieder. Und die Angst vor der nächsten schrecklichen Erfahrung, dem nächsten Kompromiss wuchs. Mein Körper wurde fester statt offener. Denn so reagieren Körper, sie sind verdammt intelligent. Sie fangen an, sich zu schützen, wenn wir diesen Job nicht für sie übernehmen und gut auf sie aufpassen. Sie werden taub, stumpfen ab und weigern sich schlicht und ergreifend erneut und immer wieder schreckliche oder auch nur unangenehme Erfahrungen zu machen. Das Problem ist, dass der Körper nicht nur partiell oder Event-gebunden abstumpft sondern generell. Die Auswirkung ist, das wir weniger fühlen. Weniger Schmerz, weniger Ekel, weniger Traurigkeit aber auch weniger Freude, Erregung und Wohlgefühl. Unsere naturgegebene Ekstasefähigkeit rückt in immer weitere Ferne und Hingabe steht als schönes Ziel auf Affirmationszettelchen.
Ich mache das nicht mehr. Ich sage Nein. Ich wechsle den Übungspartner oder setze auch mal eine Übung aus. Etwas, dass mich immer noch große Überwindung kostet, denn zeigt es doch meine Limitierungen in genau diesem Moment auf. Aber es beweist auch meinen Mut, mich mit dem zu zeigen was gerade meine Wahrheit ist.

Meiner Erkenntnis und mittlerweile tiefen Überzeugung nach geht es erstmal darum, immer die eigenen Grenzen zu waren und wertzuschätzen. Sie haben einen Sinn. Werden sie ernst genommen, dehnen sie sich meiner Erfahrung nach von ganz alleine aus – einfach dadurch dass man um sie weiß. Meine Komfortzone wurde größer, je mehr ich sie wahrte und kleiner je öfter ich mich zwang, sie zu verlassen.

Diese Art der Selbstverteidigung erfordert Mut. Sich vor allen Teilnehmern hinzustellen und den Prozess aufzuhalten, gegebenenfalls noch mit dem Lehrer, dem man ja vertraut, zu diskutieren… . Es kostet Kraft und Nerven. Schlechte Lehrer fangen an, dich in die Übung rein zu quatschen. Gute Lehrer finden eine stimmige Lösung und akzeptieren dein Nein. Sie nehmen dem Schüler die Eigenverantwortung nicht ab. Und diese sollte immer wachsen – in jedem Workshop.

Consent ist alles

„Alles was wir geistig tun, seelisch fühlen und in Beziehung gestalten, findet seinen Niederschlag in körperlichen Strukturen.“- Joachim Bauer

Fazit

Du hast Vorlieben und Abneigungen: Gesteh sie dir zu! Renn hin zu dem Partner mit dem du die Übung gerne machen möchtest, damit du die/der erste bist der fragt und sage Nein wenn dich jemand fragt, bei dem du ein Nein spürst. Zeig dich und steh zu dir. Du bist einzigartig.

P.S. Ein Vielleicht ist ein Nein. Ein Vielleicht ist oft nur ein Trick von uns selbst um uns in ein Ja zu locken: „Vielleicht ist es gar nicht so schlimm, Probier, es erstmal aus, Du tust dem anderen nur unnötig weh. … “ Du tust dir weh, wenn du dich übergehst und mit dir lebst du wesentlich länger.
Ja, Nein und Vielleicht kann man wunderbar auf unseren Conscious Cuddle Experiences üben! Es gibt keine Übungen mit blindfold, keine Zwangsberührungsübungen. Du hast jederzeit ein Recht auf dein Nein, es muss weder erklärt noch gerechtfertigt werden. Nein ist ein vollständiger Satz. Unsere Kuschelevents sind ein wunderbarer Übungsplatz, um sich auf den nächsten Tantrakurs vorzubereiten.
Ich kann mit Fug und Recht sagen, dass ich mich in den vier Jahren in denen ich nun regelmäßig kuschle weiter entwickelt und tiefere Erkenntnisse gehabt habe als in den 20 Jahren intensiver Selbstauseinandersetzung und spiritueller Suche. Ich kuschle meine Komfortzone von innen größer. Meine neue Klarheit und Freiheit ist hart erkuschelt.