Kuscheln BERLIN – Kuscheln ist das neue Yoga
Kuscheln – Berlin, diese beiden Worte gehören zusammen.
Kuscheln in Berlin – im Sinne von (kommerziell) organisiert – verliert allmählich den Reiz des neuen und des merkwürdig anmutenden. „Ich gehe auf eine Kuschelparty, komm doch mit.“ mausert sich so langsam zu einem gesellschaftsfähigen Satz, der laut ausgesprochen werden darf. Kuscheln ist schon fast das neue Yoga. Berlin ist auch hier wieder einmal weltoffen, wunderbar und zukunftsweisend (Sagt die stolze Wahlberlinerin, no offence.).
Natürlich gibt es sie noch, Berliner Berührungs- und Kuschelmuffel, die sich nicht vorstellen können, Berührung mit fremden Menschen zu teilen. Oder jene, die noch nicht verstanden haben, dass es sich bei Sex und absichtsloser Berührung um zwei verschiedene Bedürfnisse handelt. Wer versucht, das Bedürfnis nach bedingungslosem Angenommen-Sein mit Sex zu kompensieren ist fast genauso einsam wie jemand der gar keine Berührung mehr in seinem Leben kennt.
Einsamkeit entsteht auch dann, wenn wir zwar viele Freunde haben, aber nur noch virtuell oder ausschließlich auf der verbalen Ebene mit ihnen kommunizieren. Es ist die tatsächliche Berührung, die wir brauchen, um uns zugehörig zu fühlen. Ohne Zugehörigkeitsgefühl entsteht Einsamkeit und nur Berührung kann diese lindern. Es muss der Körper sein, der versteht dass er nicht allein auf der Welt ist. Das schafft die liebste What’s App-Nachricht nicht.
„Sie können so viele Gedichte rezitieren, wie Sie wollen, wenn Sie einen Menschen nicht umarmen, wird er Ihnen nie glauben, dass Sie ihn lieben.“ – Martin Grunwald
Berlin ist kuschelprädestiniert.
Mehr als 50 % der Haushalte sind bereits Singlehaushalte, die Tendenz ist weiterhin steigend. Berlin ist Singlehauptstadt.
Darüberhinaus schreit das Berliner Flair geradezu nach mehr Nähe und achtsamer Intimität. Der Berliner Ton ist rau, das Tempo immens hoch und die Ecken sind dreckig. Viele Menschen sind überfordert von den Anforderungen dieser schönen und intensiven Stadt und fühlen sich einsam und allein wenn sie dann (endlich und erschöpft) zu hause sitzen.
Kuscheln balanciert die heftigen Seiten Berlins aus. Es schenkt Langsamkeit, Bewusstheit und die Erfahrung von Nähe und Geborgenheit. Nähe, die wir uns selbst aussuchen, die wir bewusst wählen und die uns nicht in der U8 aufgezwungen wird. (Weil wir dich lieben!)
Kuscheln – Berlin, diese beiden Worte gehören zusammen. Kuscheln in Berlin ist lebensnotwendig.
Wie kam Kuscheln nach Berlin? – ein kurzer Blick in die Historie.
Massage ist eine der ältesten nachgewiesenen Therapieformen.
Die Bonding-Psychotherapie, entwickelt von dem Psychiater Dan Casriel, in den 1960er Jahren, ist ein therapeutisches Konzept, bei dem es u.a. um das Nachnähren geht. Die Klienten werden gehalten und können nicht erlebte elterliche Fürsorge nachholen.
Seit 1972 wurde der Therapeutic touch von Dolores Krieger als Abgrenzung zur Massagetherapie entwickelt und erzielt deutliche Erfolge, wenn es darum geht, Menschen im Krankenhaus zu helfen, die Schmerzen leiden und/oder Angst haben.
Als Pionier der Kuschelbewegung und Erfinder der Kuschelsession gilt Travis Sigley. Er arbeitete in einem Stripclub in San Francisco und ihm fiel auf, dass viele seiner Kunden nur reden wollten und hungrig waren nach Aufmerksamkeit und Nähe. Sie wollten kuscheln und gehalten sein, keinen Sex haben. Er beschloss, genau dieses Bedürfnis zu adressieren und bot die ersten nichtsexuellen Sessions an. Nach dem Ausprobieren von mehreren Therapieformen, wie der Gesprächstherapie und der Musik-und Tanztherapie, bemerkte er, dass die Klienten beim Kuscheln und Gehalten-sein am leichtesten einen heilsamen Zustand erlebten. Sein Angebot wurde dankbar angenommen und so bietet er seit 2009 Kuschelsessions und Cuddlepuddles/Gruppenkuscheln an.
Die Cuddle Party/Kuschelparty wurde 2004 in New York vom Sexualtherapeuten Reid Mihalko und seiner Partnerin, der als Beziehungsberaterin arbeitenden Marcia Baczynski, erfunden. Ursprünglich, um ihren Klienten einen Raum für mehr Körperlichkeit zu ermöglichen und ihre schon bestehenden Beziehungen dadurch neu zu beleben. Kuschelpartys haben feste Regeln und Sex ist tabu, in gemütlicher sicherer Atmosphäre wird gekuschelt, können Grenzen und Wünsche erforscht werden.
In Deutschland wurden die ersten Kuschelpartys im Jahr 2005 in Berlin veranstaltet, ein Konzept, das weltweit immer größeren Anklang findet.
2013 eröffnet Samantha Hess in Portland, USA „cuddle up to me“, das erste professionelle Kuschelstudio. Seitdem arbeiten sie und ihr Team erfolgreich als Profikuschler und haben Tausende bekuschelt.
Seit 2016 bietet der KuschelRaum verschiedene Kuschelformate, mit jeweils unterschiedlichen Schwerpunkten des Erfahrungsraumes an. Kuschelsessions, Therapeutisches Kuscheln, Coaching und Workshops sind ebenfalls Teil des Angebots, seit 2019 kam die Ausbildung zur Kuscheltherapie hinzu, seit 2020 die Ausbildung zur Kuschelpartyleitung.
Kuscheln ist ein Grundbedürfnis.
Kuscheln ist noch älter als die Menschheit an sich. Primaten verbringen 10 – 20 % des Tages mit Fellpflege, bei Hunden und anderen Rudeltieren ist das Kontaktliegen bekannt, es gibt Oktopusse und Fische, die zu ihren Haltern eine taktile Beziehung aufgebaut haben, … .
Wir werden mit dem Bedürfnis nach liebevoller Berührung geboren. Kleine Kinder suchen instinktiv Nähe, wenn sie seelische oder körperliche Verletzungen erleiden, bzw. Schmerzen haben und erfahren Trost und Linderung durch eine Umarmung, Berührung oder das berühmte Pusten. Absichtslose Berührung, im Sinne von nicht sexuell konnontiert, ist ein Teil des Lebens.
Liebevoller körperlicher Umgang war leider lange Zeit in Verruf und so haben wir noch heute an den Folgen zu leiden. Als Beispiel sei Nazideutschland aufgeführt. Der Ansatz der Kindererziehung war es, Babys und Kinder nur zu versorgen und von jeglicher Verzärtelung abzusehen. Sie sollten starke Lungen bekommen durch Schreien und abgehärtet werden durch Verzicht. Liebevolle Berührung war wegen der Gefahr der Verweichlichung tabu. Denselben Ansatz verfolgten auch viele Ärzte in Amerika und erst seit den 50er Jahren setzt sich langsam eine gegenteiligere Sichtweise in der westlichen Medizin durch, wobei die Wichtigkeit von Berührung vielmals noch deutlich unterschätzt wird. Unter den Nachwirkungen der falschen Erziehung und Sichtweise leiden wir noch heute. Menschen, die mit wenig Berührung aufgewachsen sind, sind oft nicht in der Lage, ihren Kindern genug liebevolle Berührung zur Verfügung zu stellen. Der Berührungsmangel wird von einer Generation an die nächste weitergegeben. Die stetige Angst vor sexuellen Übergriffen schränkt Ausgleichsmöglichkeiten enorm ein.
Für Kuscheln war bisher nur Platz in der Erotik-Industrie. Viele Prostituierte berichten davon, dass ihre Kunden nur reden, eine Umarmung oder Händchen halten wollen. Durch die deutliche Ablösung von der Verknüpfung mit Sex kann Kuscheln auch wieder für sich allein stehen. Wichtig zu verstehen ist: Es sind zwei Grundbedürfnisse! Das Grundbedürfnis nach Sex, nach erotischem Ausdruck und dem Erfahren der eigenen sexuellen Identität und das Bedürfnis nach bedingungsloser, absichtsloser Berührung. Beide haben eine Berechtigung, müssen gelebt und erfahren werden, um die volle Bandbreite des Menschseins zu erleben.
In diesem Sinne: Kuschelpartys für alle. Kuscheln für Alle. Kuscheln für Berlin.
Wann die nächste Kuschelparty ist erfährst du hier.
Hier ein schöner Artikel dazu in der Zeit: „Fass mich an“ von Birgit Herden.
„ Viele Menschen haben kaum Körperkontakt – dabei würden sie gern mal wieder in den Arm genommen werden. Gute Idee. Berührungen können eine Menge bewirken.“
Hier einige Eindrücke vom Gruppenkuscheln.