Eine Grenze ist eine Grenze ist eine Grenze – oder nicht?

In diesem Blogartikel wollen wir näher auf das Thema Grenzen eingehen und möchten damit weiter auf das Konto „Consent Kultur“ einzahlen.
Was sind individuelle Grenzen? Welche Arten von Grenzen gibt es? Wie kann ich lernen und üben, Grenzen zu setzen und klar zu kommunizieren? Wie kann ich andere dabei unterstützen, ihre Grenzen zu wahren? Im KuschelRaum rücken wir natürlich Grenzen, Berührung, Nähe und Intimität betreffend, besonders in den Mittelpunkt.

„Niemand ist vollkommen: Glück heißt, seine Grenzen kennen und sie lieben.“ – Romain Rolland

KuschelRaum und Grenzen

Im KuschelRaum legen wir großen Wert auf das Thema Grenzen. Unser Ziel ist es, Menschen dafür zu sensibilisieren, ihre körperlichen Grenzen, insbesondere im Zusammenhang mit Berührung, Nähe und Intimität, wahrzunehmen. Ein wichtiger Teil davon ist, die Hinweise des Körpers, seine deutlichen und subtilen Signale zu erkennen und diesen bedingungslos zu folgen. Ein weiterer ist, sich damit mutig zu zeigen und die sich daraus ergebenden Erkentnisse und Konsequenzen auch nach außen hin, klar zu kommunizieren.

Die Bedeutung von Mut
Es ist mutige Selbstfürsorge, unsere Grenzen anderen Menschen gegenüber zu kommunizieren und sie ihnen zuzumuten. (Schönes Wort!)
Lasst es uns nicht unterschätzen: Es erfordert wirklich großen Mut – den Mut, sich selbst zu erlauben, Grenzen zu haben, und den Mut, diese zu respektieren, auch wenn es Konsequenzen geben könnte. Beispielsweise könnte auf einer Kuschelparty der Gedanke aufkommen: „Wenn ich jetzt Nein zu der Begegnung mit dieser Person sage, habe ich vielleicht keine andere Begegnung mehr.“

Nein sagen lernen
Unser Anliegen ist es, Menschen dazu einzuladen, ihre eigenen Grenzen zu achten und zu respektieren; ganz selbstbewusst und selbstverständlich Nein zu sagen. Denn nur durch das Erkennen und Kommunizieren unserer Grenzen kann es gelingen, gesunde und respektvolle Begegnungen zu schaffen. Darüber hinaus wächst mit jeder gesetzten und gehaltenen Grenze unsere Selbstachtung und unser Selbstvertrauen: Wir können uns wieder dahingehend selbst vertrauen, gut auf uns aufpassen und für uns sorgen zu können.

Für Neins bedanken
Es ist wichtig, dass Menschen lernen, sich für jedes empfangene Nein zu bedanken, denn so können sie andere Menschen ermutigen, weiterhin und noch selbstverständlicher Grenzen zu setzen. Hierzu gehört auch, zu verstehen, dass ein Nein nicht zwangsläufig eine Ablehnung ist, sondern einfach nur ein Nein – dann fällt dieses „Danke“ ganz leicht.

„Ein Nein zu dir, ist ein Ja zu mir.“ – Unbekannt

Der KuschelRaum möchte vor allem mit den Consious Cuddle Experiences (unseren Kuschelpartys) Begegnungs- und Übungsräume für das Erforschen von Grenzen und das Üben diesbzüglicher klarer Kommunikation schaffen.

Grenzen sind individuell

Alle Grenzen – nicht nur die Berührung betreffenden – werden sehr individuell wahrgenommen. Aber warum ist das so?

Wir Menschen sind eigenständige und einzigartige Individuen. Gleichzeitig existieren wir in einer Welt, wo wir im ständigen Kontakt und Austausch mit unserem Umfeld sind (dazu gehören auch andere Menschen). Genauer gesagt sind wir Teil dieser Welt (und einer menschlichen Gesellschaft) und können uns nicht vollständig isolieren oder isoliert betrachten. Wir nehmen aber die Welt aus unserer ganz individuellen Perspektive wahr, was uns ein Gefühl der Individualität verleiht. Diese Zweiteilung zwischen individueller Eigenständigkeit und Freiheit einerseits und Kollektivität und Zugehörigkeit andererseits ist ursprünglich begründet, sowohl in der Geschichte der Menschheit, als auch in der Lebensgeschichte jeder Person. Gesetzgebung sowie soziale Normen und Konventionen versuchen ein Stück weit die zwischenmenschlichen Interaktionen zu regeln und bestimmen, wer mit wem wann und wie etwas machen darf und wer nicht. Diese Regeln decken allerdings bei weitem nicht alles ab und verlieren zunehmend ihre Reichweite und Wirksamkeit in einer heterogenen, pluralen Gesellschaft, wo verschiedene Ebenen von Identität und Zugehörigkeit miteinander verwoben sind und die individuelle Freiheit immer mehr Raum bekommt – auch in der Gesetzgebung. Es ist also natürlich und universal, dass wir in den Interaktionen und Beziehungen zu unseren Mitmenschen das Gefühl erleben, eine Privatsphäre zu haben und als Folge das Bedürfnis, in uns entsteht, sie zu bewahren. Das heißt, es ist unser Wunsch und Bedürfnis die Entscheidungsmacht darüber zu haben, wer uns nah kommen (und berühren) darf oder wem wir uns zeigen und nähern. Wir sind zwar immer Teil der Welt, der Menschheit und einer engeren Gesellschaft, aber nicht jeder Mitmensch ist jederzeit und in jeder Art und Weise in unserer Privatsphäre willkommen. Dafür können wir Grenzen setzen, um anderen zu signalisieren, womit wir uns wohlfühlen und was sich für uns unangenehm oder verletzend anfühlt. Wann und wie wir eine Grenze ziehen, hängt von unseren persönlichen Präferenzen und unserem Hintergrund ab, d.h. unseren bisherigen Erfahrungen im Leben, inklusive unserer Erziehung und Sozialisierung, ab. Wir haben die Ebenen dieses eher abstrakten Begriffs der Privatsphäre oder des persönlichen Lebensraums in konkreten Kategorien, die für unseren Bildungszweck sinnvoll erscheinen, aufgeteilt und aufgelistet.

„Wer seine eigenen Grenzen nicht kennt, findet nur sehr schwer die richtige Distanz zu anderen.“ – Ernst Ferstl

Arten von Grenzen

Es gibt verschiedene Kategorien Privatsphäre zu definieren. Wir beginnen mit denen, die Berührungen und Nähe beinhalten, erweitern aber um alle individuellen Grenzen.

Physische Grenzen: beziehen sich auf deine Entscheidungsmacht über deinen Körper oder physische Privatsphäre. Dazu gehören alle Formen von körperlicher Nähe und alle Arten von Berührungen. Auch Worte (über deinen Körper), Blicke oder Aufnahmen (Foto oder Video deines Körpers) können in deine physische Privatsphäre eindringen und sie eventuell verletzen. Sie betreffen auch die physiologischen Bedürfnisse deines Körpers (Schlaf, Essen, Erholung… „Ich bin müde, lass uns morgen weitermachen“, „Ja, ich muss aber vorher etwas essen.”, “Ich muss mal auf die Toilette”). Weitere Beispiele über deine (gesetzlich vorgesehene) Entscheidungsfreiheit über deinen Körper sind die Freizügigkeit (du entscheidest, wo du hingehst bzw. dich aufhältst) und Willenserklärungen wie Patientenverfügung und Bestattungsverfügung, in denen du vorsorglich entscheidest, was mit deinem Körper geschehen soll (wenn du in der Zukunft dazu nicht mehr in der Lage sein solltest).
Eingeschränkt bzw. verletzt werden sie z. B., wenn dir jemand ungefragt zu nahe kommt (dir im Supermarkt an der Kasse in den Nacken atmet) oder deinen Körper nicht als dir gehörend respektiert (deine Hand tätschelt, verknüpft mit der Forderung, der Person einen Kaffee zu holen), dich unter Druck setzt, einer Berührung zuzustimmen („Komm schon, stell dich nicht so an, gib Oma einen Kuss!“), ohne deine Erlaubnis Fotos von dir macht oder welche ins Internet stellt.

Sexuelle Grenzen: beziehen sich auf deine Sexualität und deine Entscheidungsmacht darüber, wann und wie du sie ausleben möchtest und mit wem du sexuelle Erfahrungen teilen möchtest. Dazu gehören alle sexualisierenden bzw. sexuell intendierten Interaktionen (Berührungen, Blicke, Worte…), die Verbreitung aller Informationen über deine Sexualität (sexuelle Identität, Vorlieben, Vergangenheit…), alle Aufnahmen von sexuellen Handlungen oder welche, die intime Körperteile darstellen (die von anderen ohne deine Erlaubnis leicht sexualisiert werden können). Wenn solche Interaktionen oder die Verbreitung solcher Informationen (sexueller Ruf) oder Aufnahmen (z.B. Revenge Porn) ohne deine eindeutige, freiwillige Erlaubnis (frei von Aufdrängen, Manipulieren, Einschüchtern, Erpressen…) geschieht, stellt das eine sexuelle Grenzüberschreitung bzw. einen sexuellen Übergriff dar. Ebenso, wenn du ungefragt sexuellem Inhalt ausgesetzt wirst (z.B. Dickpics).

Emotionale Grenzen: beziehen sich sowohl auf deine emotionale Belastbarkeit (Situationen, die dich triggern oder emotional überfordern) als auch auf deine emotionale Privatsphäre bzw. deine Entscheidungsmacht über deine Gefühlswelt: Wann und in wie weit du sie mit anderen teilen möchtest und wie andere mit ihr umgehen. Auch deine Bereitschaft, mit den Emotionen anderer umzugehen oder wie emotional nah du sie an dich heran lässt, fällt in diese Kategorie.
Eingeschränkt bzw. verletzt werden sie, wenn jemand deine nicht Gefühle respektiert („Reiß dich zusammen und funktioniere!“) oder abtut („Hab dich nicht so!“), wenn jemand hinter deinem Rücken lästert oder dir etwas verheimlicht. Auch ob jemand absichtlich versucht, dir schlechte Gefühle zu machen (dich absichtlich zu ärgern oder zu provozieren), fällt in diese Kategorie.

Mentale und soziale Grenzen: beziehen sich auf deine Werte, Ideen, Überzeugungen und Meinungen sowie deine sozialen Identitäten und Zugehörigkeiten, einschließlich deren praktischer Implikationen, (ein Veganer isst keine Tierprodukte, eine Christin beachtet ihre Feiertage, (manche) muslimische Frauen tragen ein Kopftuch, AA-Mitglieder trinken keinen Alkohol). Welt- und Menschenbilder, religiöse und spirituelle Glaubensrichtungen, ethische und moralische Überzeugungen und andere identitätsstiftende Ideen fallen ebenso in diese Kategorie, wie Meinungen und Sichtweisen jeglicher Art. Dazu gehört deine Freiheit, sie zu ändern und deine Entscheidungsmacht darüber, welche Informationen du mit wem teilst. 
Eingeschränkt bzw. verletzt werden sie, wenn andere deine Ideen und Meinungen nicht respektieren, dich wiederholt unterbrechen oder dir das Gefühl geben, dumm zu sein. Urheberrechtsverletzungen oder (delikate) Informationen weiterzugeben gehören ebenfalls in diese Kategorie.

Materielle Grenzen: beziehen sich auf Besitztümer und den emotionalen Wert, den sie für dich haben können (und dadurch als Teil deiner Privatsphäre erlebt werden, insbesondere sehr persönliche Dinge, wie deine Wohnung oder dein Bett). Dazu gehört auch die Entscheidungsmacht über das Verleihen oder Verschenken („Diese Kette möchte ich nicht ausleihen, die habe ich von meiner Großmutter geerbt und sie ist unersetzlich.“), einschließlich Vollmachten und Testamente (manches gilt also sogar nach deinem Tod). Geld, Gold und andere universale Tauschmittel fallen auch in diese Kategorie.
Eingeschränkt bzw. verletzt werden sie, wenn jemand unachtsam mit deinen Besitztümern umgeht (sie stiehlt, ungefragt ausleiht, nach dem Verleihen nicht oder in beschädigtem Zustand zurückgibt, unachtsam mit ihnen umgeht). In deine Wohnung (Haus, Grundstück, Garten, Auto…) einzubrechen, dein Zimmer ohne Erlaubnis zu betreten wären weitere Grenzverletzungen in dieser Kategorie sowie Druck auf dich auszuüben, Dinge zu überlassen oder zu verleihen. Sie werden auch verletzt, wenn jemand dich in diesen Belangen kontrolliert, bewertet oder verurteilt, anstatt deine Entscheidungsfreiheit zu respektieren (z.B wie du dein Geld ausgibst oder was du besitzt).

Zeitliche Grenzen: beziehen sich auf, deine Entscheidungsmacht darüber, wie du deine Zeit verbringst und auf das Einhalten von Absprachen, die Nutzung deiner Zeit betreffend. In diese Kategorie fällt zusätzlich die Anerkennung deiner Entscheidungsfreiheit bzw. der respektvolle Umgang mit deinen Entscheidungen und Grenzen. Verletzungen deiner zeitlichen Grenzen finden dann statt, wenn jemand (ohne angemessene Begründung und Kommunikation) zu einer Verabredung zu spät kommt und dich warten lässt oder gar nicht erscheint bzw. kurzfristig absagt und dadurch deine Zeit nicht respektiert (sowohl die geplante Nutzung selbst, als auch eventuelle Vorbereitungs- und Fahrzeiten). Das gilt auch, wenn jemand zeitlich überzieht und dich zwingt, irgendwo länger zu bleiben als vereinbart bzw. ohne deine freiwillige Zustimmung. Ein weiteres Beispiel „gestohlener Zeit“ wäre das aufdringliche In-Beschlag-Nehmen deiner Person und das Einfordern deiner Zeit.

Übung zu Grenzen

Diese Übung möchte dir weitere Klarheit bezüglich deiner eigenen Grenzen bringen, dich aber auch zu Verständnis und Mitgefühl anderen und ihren Grenzen gegenüber einladen.

Stelle dir zu jeder Art von Grenzen (vorheriger Abschnitt) die folgenden Fragen:

  • Was sind deine persönlichen Regeln bezüglich dieser Grenze?
  • Wie könntest du anderen deine Regeln rund um diese Grenze mitteilen (z. B. Kommunikation, Körpersprache)?
  • Wie würde sich jemand verhalten, wenn er deine Regeln respektieren würde?
  • Wie könnte jemand diese Grenze verletzen?
  • Warum könnte jemand diese Grenze verletzen? (Möglicherweise wissen sie es nicht oder versuchen absichtlich oder unbewusst, eine Reaktion bei dir hervorzurufen.)
  • Welche emotionalen Auswirkungen könnte es haben, wenn jemand diese Grenze überschreitet? (Denke über Dinge wie Sicherheitsgefühl und Vertrauen nach.)
  • Wie könntest du reagieren, wenn eine Grenzverletzung passieren würde? (Überlege, wie du in Zukunft deine Grenzen durchsetzen möchtest.)

Nimm bewusst wahr, wie schwer oder sogar unmöglich es für andere ist, alle deine Grenzen zu wahren, und ebenso, wie herausfordernd es für dich ist, alle Grenzen deiner Mitmenschen zu respektieren. (Diese Erkenntnis befreit uns nicht davon, unser Bestes zu geben und es weiterhin zu versuchen.)

Grenzen verändern sich

Hinzu kommt: Grenzen sind nicht in Stein gemeißelt; sie können sich je nach Situation und den beteiligten Personen verändern. Daher reicht es nicht aus, sich selbst gut zu kennen und entsprechend zu handeln. Es ist auch entscheidend, offen zu sein für die Möglichkeit, dass sich Grenzen verschieben können – dass eine Grenze nun existiert, wo vorher keine war, und umgekehrt. Diese Offenheit ist für alle Beteiligten wichtig. Es geht nicht nur darum, bestehende Grenzen – sowohl die eigenen als auch die des Gegenübers – zu kennen und zu respektieren („Du magst das und das nicht“), sondern auch bedingungslos zu akzeptieren, wenn sich diese Grenzen ändern („Heute/jetzt gerade magst du es bzw. magst du es nicht“).

Grenzen setzen leicht gemacht

Grenzen mit Historie sind eine kleine Bombe
Fällt es dir schwer, Grenzen zu setzen, bist du damit nicht allein. Viele Menschen zögern, ihre Grenzen frühzeitig zu kommunizieren. Sie warten bis es irgendwann nicht mehr anders geht und dann kann das Setzen einer Grenze wie eine kleine Explosion wirken, da sich zusätzlich auch die bis dahin angestauten diesbezüglichen Frustrationen entladen: „Warum immer ich?“ / „Das kann ja wohl nicht wahr sein. Schon wieder!“ / „Jetzt reicht es mir endgültig.“ … Und diese kleine Bombe bekommt dann die Person ab, die das Pech hatte, gerade jetzt eine (vielleicht sogar nur winzige) Grenze zu überschreiten. Diese Überreaktion, die der Situation nicht angemessen ist, können wir verhindern, indem wir Grenzen rechtzeitig setzen und – das ist schwer – ohne die Vergangenheit miteinzubeziehen. Es lohnt sich, denn klare Kommunikation vergrößert die Erfolgschancen dahingehend enorm, das die gesetzten Grenzen einfach respektiert werden. Ein Vorwurf oder Rundumschlag hingegen wird eher eine Gegenreaktion, denn einfache Akzeptanz auslösen.
Ein Beispiel: Angenommen deine Arbeitskolleg:innen bitten dich immer wieder um Gefälligkeiten, wie Botengänge oder den Tausch von Schichten (die letzten Weihnachtsfeiertage hast du immer gearbeitet), dann kann es sein, dass du irgendwann genug hast und dir schon der Kragen platzt, wenn dich jemand bittet, einen Kaffee mitzubringen. Hier würdest du dann stellvertretend eine Grenze an einer Stelle setzen, die dir vielleicht gar nicht so wichtig ist und in einer Weise, die unfair gegenüber der fragenden Person ist.

Übung macht den Meister
Eine gute Möglichkeit, das Setzen von Grenzen zu üben und das oben genannte Szenario zu vermeiden wäre, mit kleinen Dingen anzufangen, die eigentlich keine wirklichen Grenzen darstellen. Zum Beispiel könntest du in einer gut gelaunten Stimmung die Bitte des Kaffeeholens freundlich ablehnen, auch wenn es dir eigentlich gerade nichts ausmacht. Das Üben in unaufgeladenen Situationen (ohne die tickende Bombe) hilft, deine Fähigkeit, Grenzen zu setzen, zu stärken, da es einfacher ist, entspannter und weniger Mut kostet, eine Grenze zu setzen, die eigentlich keine ist. Du musst ja nicht jedes Mal ablehnen und nie wieder Kaffee mitbringen – du kannst allerdings ab und zu an ähnlich gelagerten Alltäglichkeiten üben. Und dann klappt es bald auch, größere Bitten, wie den Schichttausch, entspannt abzulehnen (und Weihnachten endlich mal wieder zu hause zu sein).

Grenzen setzen üben im KuschelRaum
Das Setzen von Grenzen im berührenden Kontext ist dem KuschelRaum eine Herzensangelegenheit. Besonders auf unseren Kuschelpartys laden wir dazu ein, Grenzen zu setzen. Jede Berührung muss erfragt werden, bevor sie stattfindet, und es erfolgt eine bewusste Entscheidung darüber, ob diese Berührung stattfinden kann oder nicht. Diese Entscheidung muss verbal mit Ja oder Nein kommuniziert werden. Es gibt nichts dazwischen. Dieses bewusste Miteinander ermöglicht es uns, die Kontrolle über unseren eigenen Körper auszuüben und zu lernen, dass unsere Bedürfnisse, Wünsche und Grenzen wichtig sind. Durch den Prozess des aktiven Fragens und Gefragt-Werdens können sich langsam tief verwurzelte Strukturen unseres Nervensystems verändern. In uns verankert sich, dass es sicher ist, in unserem Körper zu sein und dass das Setzen von Grenzen keine negativen bzw. weitreichenden Konsequenzen hat. Denn auf einer Kuschelparty, in der Begegnung mit Fremden, sind die Konsequenzen wesentlich geringer als im Zusammenhang mit Menschen, die uns nahestehen (und die dieses Verhalten von uns noch nicht gewöhnt sind).

Berührende Grenzen
Manchen Menschen fällt das nicht leicht. Das Setzen von echten Grenzen, echten Neins ist (noch) zu herausfordernd. Dies kann ganz unterschiedliche Gründe haben. Beispielsweise können in der Vergangenheit unangenehme Erfahrungen gemacht worden sein und demzufolge fällt es nun schwer, klar zu kommunizieren, was angenehm ist und was nicht. Ist das der Fall, ist es auch hier wahrscheinlich, dass sich angestaute Frustration plötzlich entlädt, selbst bei einer unabsichtlichen oder ehrlich nett gemeinten Berührung. Oder aber die betroffene Person verstummt völlig und das Setzen von Grenzen im Zusammenhang mit Berührungen ist nahezu unmöglich.
In beiden Fällen laden wir ein, Grenzen zu setzen, die eigentlich keine sind, also kleine, nicht aufgeladene Grenzen. Beispielsweise könnte die Person, wenn eine Berührung des Arms erfragt wird: „Darf ich deinen Arm streicheln?“ sagen: „Ja, aber nur vom Handgelenk bis zum Ellbogen.“, obwohl der ganze Arm eigentlich problemlos für die angefragte Berührung frei gegeben werden könnte. Die Grenze „Handgelenk bis Ellbogen“ ist jedoch nicht emotional aufgeladen, sie ist auf gut deutsch gesagt eigentlich Wurscht und lässt sich deshalb leichter kommunizieren. Das liegt daran, dass die Angst vor einer Überschreitung dieser Grenze nicht so groß ist, als wäre es eine wirkliche Grenze: „Meinen Bauch darfst du nicht berühren.“ Wird diese Grenze dann respektiert, stärkt dies das Vertrauen in die Fähigkeit der Person, Grenzen zu setzen. Sie wird selbstbewusster mit Grenzen umgehen, sie wird selberermächtigt. Dies wiederum kann sie dann auch auf Grenzen übertragen, die wirkliche Grenzen sind und deren Kommunikation bis dato zu herausfordernd war.

Grenzen klar und entspannt kommunizieren
Probiere es gern aus. Mit der Zeit wirst du auch in der Lage sein, echte Grenzen klar und entspannt zu setzen. Du verlierst die Angst davor. Und je öfter du es tust, desto weniger aufgeladen sind all deine Grenzen, einfach, weil schon so viele davor problemlos respektiert wurden. Indem du lernst, auch kleine Grenzen zu setzen und deren Respektierung zu erleben, wirst du sicherer und kannst deine echten (großen) Grenzen besser schützen.

„Daring to set boundaries is about having the courage to love ourselves even when we risk disappointing others.“ – Brené Brown

Sicherheit durch Wahlfreiheit
Indem wir wiederholt erfahren, dass wir die Wahl haben und unsere Wünsche zählen, schaffen wir Sicherheit für uns selbst. Es wird uns bewusst, dass wir das Recht haben, über unseren Körper zu bestimmen und dass niemand besser weiß, was gut für uns ist, als wir selbst. Diese Erkenntnis stärkt unser Selbstbewusstsein und unser Gefühl der Selbstbestimmung. Indem wir lernen, Nein zu sagen und diese Entscheidung respektiert finden, fühlen wir uns sicherer und stärken unser Vertrauen in uns selbst und in unsere Mitmenschen.

Nein ist ein vollständiger Satz!

Eine weitere wichtige Botschaft im KuschelRaum lautet: „Ein Nein ist ein vollständiger Satz.“ Ein Nein muss nicht erklärt, nicht gerechtfertigt, nicht verteidigt und nicht erläutert werden. Ein Nein kann einfach so für sich stehen. Natürlich kann es in manchen Situationen hilfreich sein, ein Nein einzuordnen – zum Beispiel, wenn du spürst, dass sich die andere Person stark abgelehnt fühlt, oder wenn du in bestimmten Kontexten klar machen möchtest, dass dieses Nein nur für den Moment gilt und sich später durchaus in ein Ja verwandeln könnte.
Hier ist es wichtig, aufzupassen, dass Erklärungen nicht zu Rechtfertigungen oder Verteidigungen werden. Du hast das Recht auf deine Grenzen. Achte auch darauf, dich nicht hinter einem „Vielleicht später“ zu verstecken, wenn es eigentlich ein Nein ist, das du dir nicht traust, zu kommunizieren. Wir laden dich dazu ein, einfach Nein zu sagen und deinem Gegenüber zuzutrauen, damit umgehen zu können. Und wir laden das Gegenüber ein, sich für dieses Nein zu bedanken.

Bedanke dich für Neins

Du kannst dazu beitragen, dass Grenzen immer mehr und immer leichter von allen Menschen respektiert und gesetzt werden können, indem du anfängst, dich für die Neins zu bedanken, die du bekommst. Dein Danke sagt der Nein-sagenden Person, dass du mit ihrem Nein umgehen kannst: „Danke, dass du dich offen zeigst.“ / „Danke, dass du mutig bist.“ / „Danke, dass du mir zutraust, mit deinem Nein umzugehen.“/ „Danke, dass ich mich darauf verlassen kann, dass du deine Grenzen setzen kannst und ich deshalb nicht für dich mitdenken muss.“ / „Dein Nein zeigt mir, dass ein Ja von dir wirklich Ja bedeutet und ein Ja ist, was ich rückhaltlos annehmen kann.“
Durch diese Botschaften ermutigst du nicht nur andere Menschen dazu, sich immer mehr mit ihren Neins zu zeigen, du ermutigst dich auch selbst.

Mehr zum Thema

Das Thema „Grenzen setzen“ ist Teil des großen Themas „Consent Kultur“ – ein weites Feld, dass wir gerade erst beginnen, zu entdecken und zu definieren. Lies dazu gern die folgenden Blogartikel:

Es werden noch weitere Blogartikel zu diesem Thema folgen, unter anderem ein Artikel, der sich damit befassen wird, was wir tun können, wenn eine Grenzverletzung stattgefunden hat.

Möchtest du einen (entspannten) Übungsraum, dann besuche gern Conscious Cuddle Experiences, unsere Kuschelpartys. Auf ihnen kannst du mit fremden Menschen, also mit Menschen, mit denen die Konsequenzen für deinen Alltag sehr gering sind, üben, Grenzen zu setzen, Grenzen zu ändern, Grenzen gesetzt zu bekommen und sie nicht als Ablehnung einzuordnen … und ganz viel mehr … u.a. kannst du auch einfach kuscheln und genießen.

Möchtest du dich tiefer mit dem Thema auseinandersetzen, empfehlen wir dir unsere Workshops, besonders jene zum Thema Consent.

Danke, das du ein Teil der Consent Kultur bist.