The Wheel of Power and Privilege – Consent beginnt mit Bewusstsein

Consent ist weit mehr als ein „Ja“ oder „Nein“. Es ist ein lebendiger Prozess – ein sensibles Aushandeln von Grenzen, Bedürfnissen und Intentionen. Dabei stellt sich immer wieder die Frage: Fühlen sich alle Beteiligten wirklich frei in ihrer Entscheidung und erkennen wir an, dass Erfahrungen, kulturelle Prägungen und Lebensumstände beeinflussen, wie Menschen zu einem Ja oder Nein finden?

Das Themenfeld Consent lädt uns ein, das ganze Geflecht zu sehen, in dem Entscheidungen entstehen: das Zusammenspiel von innerer Freiheit, Sicherheit, Vertrauen und den gesellschaftlichen Bedingungen, in denen wir uns bewegen. In diesem Zusammenhang lohnt sich ein Blick auf das Wheel of Power & Privilege – ein Modell, das sichtbar macht, wie ungleich die Bedingungen verteilt sind, unter denen Menschen in Kontakt treten.

Dies ist ein weiterer Artikel in unserer Reihe zu Consent und achtsamer Berührung:

Privilegien existieren

Manche Menschen betreten einen Raum mit dem Gefühl, selbstverständlich dazuzugehören. Sie werden gesehen, gehört, ernst genommen. Andere spüren Unsicherheit, Zurückhaltung oder die Notwendigkeit, sich erst sicher zu fühlen, bevor sie sich Raum nehmen. Dieses unterschiedliche Maß an Freiheit und Selbstverständlichkeit hat nicht nur mit Persönlichkeit zu tun, sondern auch mit den Bedingungen, unter denen wir leben – mit Privilegien und gesellschaftlichen Machtstrukturen, die tief in unsere Körper eingeschrieben sind.

Das Wheel of Power & Privilege macht sichtbar, wie verschieden die Ausgangspunkte sind, von denen Menschen in Begegnung gehen. Geschlecht, Hautfarbe, Alter, sexuelle Orientierung, Herkunft, Bildung, Körperform oder sozialer Status – all das prägt, wie viel Raum wir uns nehmen dürfen oder glauben, nehmen zu dürfen. Consent geschieht also nie im luftleeren Raum, sondern immer eingebettet in Kontexte, Erfahrungen und Geschichten. Das Wheel of Power & Privilege lädt uns ein, einige dieser unsichtbaren Einflüsse bewusst wahrzunehmen und anzuerkennen: Privilegien existieren.

„Privileg bedeutet, bestimmen zu können, wer ernst genommen wird, wer Aufmerksamkeit erhält und wer wem gegenüber wofür Rechenschaft schuldet.“ – Allan G. Johnson

„Weißes Privileg ist wie ein unsichtbarer, gewichtsloser Rucksack voller besonderer Vorräte, Karten, Pässe, Werkzeuge und Blankoschecks.“ – Peggy McIntosh

Power Wheel – Privilegien erkennen

Das heute bekannte Wheel of Power & Privilege steht in der Tradition der Arbeit von Peggy McIntosh, die Ende der 1980er-Jahre das Konzept des weißen Privilegs prägte. Ihr Essay „White Privilege: Unpacking the Invisible Knapsack“ (1989) gilt als eine der zentralen Inspirationen für viele Modelle, die soziale Machtstrukturen sichtbar machen – darunter auch dieses.

McIntosh beschreibt Privilegien als eine unsichtbare „Tasche voller unbezahlbarer Vorteile“, die weiße Menschen im Alltag selbstverständlich mit sich tragen – oft, ohne es zu bemerken. Ihre Arbeit gilt heute als einer der Grundsteine moderner Antidiskriminierungs- und Diversity-Forschung. Sie prägte später auch den Begriff „unearned advantage“ (unverdienter Vorteil) und betonte, dass Privilegien keine persönliche Schuld sind, sondern Ausdruck struktureller Systeme. Diese zu erkennen sei der erste Schritt, um sie bewusst zu verändern.

Das Wheel of Power & Privilege, auch bekannt als Privilege Wheel oder Power Wheel, greift genau diesen Gedanken auf. Es ist ein Modell, das hilft, die vielschichtige Natur von Privilegien und Benachteiligungen in unserer Gesellschaft sichtbar zu machen. Es zeigt, wie bestimmte Merkmale die Erfahrungen und Möglichkeiten eines Menschen prägen.
Das Wheel lädt dazu ein, mit Bewusstsein hinzusehen: Welche Aspekte unseres Lebens öffnen uns Türen – oft, ohne dass wir es merken? Und wo begegnen wir Hürden, die andere vielleicht nie erleben? Anstatt Privilegien zu verurteilen, geht es darum, ihre Wirkung zu verstehen. Das Modell hilft, die komplexen Wechselwirkungen zwischen unterschiedlichen Formen von Macht, Zugang und Ausschluss zu erkennen. Es bietet einen Ansatz der Reflexion, wie gesellschaftliche Strukturen unser Empfinden von Freiheit, Sicherheit und Selbstbestimmung beeinflussen – und wie wir einander bewusster, achtsamer und gleichwürdiger begegnen können. Dabei steht der Aspekt der Autonomie im Vordergrund – also der Fähigkeit, eigenständig Entscheidungen zu treffen, Grenzen zu setzen und Verantwortung zu übernehmen.

Bewusstsein statt Bewertung

Das Wheel of Power & Privilege ist eine Einladung zur Selbstreflexion, kein Urteil. Es möchte nicht festlegen, wer privilegiert ist und wer nicht, sondern anregen, sich der Dynamiken bewusst zu werden, die im Hintergrund unseres Alltags wirken.

Ganz klar: Privilegien sind keine festen Strukturen. Sie verändern sich – mit Kontext, Kultur, Zeit und Situation. Was in einem Umfeld als Vorteil gilt, kann in einem anderen ein Nachteil sein. Alter ist hier ein gutes Beispiel: In vielen Lebensbereichen genießen Menschen in ihren mittleren Jahren gesellschaftliche und wirtschaftliche Privilegien. In anderen Kontexten wiederum gelten eher junge Menschen als ideal (sie erhalten mehr Aufmerksamkeit, Einfluss oder gesellschaftliche Zustimmung) oder auch alte Menschen (denen auf Grund ihrer Lebensweisheit mehr Entscheidungsgewalt zugestanden wird). Ein anderes Beispiel wäre das Körperbild: In westlich geprägten Kulturen wird Schlanksein häufig mit Gesundheit, Disziplin und Erfolg verbunden. In anderen Zeiten oder Gesellschaften hingegen galt ein üppiger Körper als Zeichen von Wohlstand, Fruchtbarkeit oder Lebensfreude (s. Rubensfigur). Diese Beispiele zeigen, dass Privilegien nicht universell sind – sie entstehen aus kulturellen Bewertungen und verändern sich mit dem Blick, der auf sie gerichtet wird.

„Macht, die aus unverdientem Privileg entsteht, kann wie Stärke wirken – ist in Wahrheit aber oft nur die Erlaubnis, sich zu entziehen oder zu dominieren.“ – Peggy McIntosh

Macht und Berührung – Das Wheel of Power & Privilege im Kontext von Nähe

Wir im KuschelRaum erschaffen berührende Erfahrungsräume und Berührung geschieht zwischen Menschen, die unterschiedliche Geschichten, Körper, Erfahrungen und Prägungen mitbringen – und damit auch unterschiedliche Machtpositionen. Im Folgenden wollen wir den Blick besonders in diesem Zusammenhang schärfen: Wie wirken gesellschaftliche Strukturen und Privilegien in unsere Räume hinein?

Eine Begegnung ist immer vielschichtig und das Wheel of Power & Privilege lädt uns ein, genauer hinzuschauen: Welchen Aspekten der Identität anderer Menschen gebe ich automatisch mehr Raum oder Glaubwürdigkeit – und in welchen Bereichen erzeugen sie eher Unsicherheit oder sogar Abwehr bei mir? Welche Aspekte meiner Identität geben mir automatisch mehr Raum oder Glaubwürdigkeit – und in welchen Bereichen fühle ich mich eher am Rand? Diese Reflexion öffnet die Tür zu mehr Bewusstsein, Mitgefühl und Verantwortung – für uns selbst und für andere.

Impuls 1 – Macht ist kein statisches Konzept. Sie verändert sich – je nach Kontext.
Wer neu ist auf einer unserer Veranstaltungen, erlebt sich vielleicht als unsicher, weniger beachtet oder mit größerer Vorsicht behandelt, im Gegensatz zu einer Person, die schon oft auf Conscious Cuddle Experiences (Kuschelpartys des KuschelRaums) war. Letztere wird sich wahrscheinlich selbstsicherer fühlen und sich selbstverständlicher im vertrauten Raum bewegen. Sie wird auf Grund ihres Erfahrungsvorsprungs von anderen als Expert:in wahrgenommen und ihr wird mit mit hoher Wahrscheinlichkeit in berührenden Begegnungen ein hoher Vertrauensvorschuss gewährt. Sie hat deshalb ersteinmal mehr Einfluss als ein Neuzugang. Einfluss und Vertrausenvorschuss verfallen aber, sollte diese Person auf einen Menschen treffen, der ihr gegenüber (erfahrungsbasierte) Vorurteile hat: „Immer haben mich Menschen verletzt, die so … sind bzw. so aussehen.“ Wahrgenommenes Expertentum und erfahrungsbasierte Vorurteile treffen hier aufeinader und ein Mensch kann gleichzeitig privilegiert und benachteiligt sein – abhängig davon, in welchen Kontext er vom Gegenüber gesetzt wird.

Impuls 2 – Auch in der Berührung wirkt Macht – oft subtil, oft auch unbewusst.
Wer berührt, wer berührt wird und wo, wer empfangen darf, wer entscheidet, wie lange oder wie intensiv eine Berührung stattfindet, ist nicht immer gleich verteilt. Manche Körper sind es gewohnt, Raum einzunehmen – andere, sich anzupassen. Manche wurden für ihre Berührbarkeit beschämt oder gelobt, andere für ihre Zurückhaltung. Körper erzählen Geschichten von Grenzen, Erwartungen und kulturellen Rollenbildern.

Impuls 3 – Empathie für uns und andere
Wenn wir erkennen, dass Menschen mit unterschiedlichen Voraussetzungen in einen gemeinsamen Raum kommen, wächst Empathie. Statt Schuld oder Abwehr entsteht Verständnis: „Ich sehe, dass dein Weg anders war als meiner.“ Diese Haltung verändert die Qualität von Begegnung. Sie schafft Räume, in denen wir uns nicht über Grenzen hinwegsetzen, sondern gemeinsam lernen, sie zu achten.

Wir im KuschelRaum wollen solche Räume gemeinsam mit dir erschaffen – und dich einladen, sie auch außerhalb des KuschelRaums zu etablieren. Denn die Antwort in Bezug auf Herausforderungen im Themenfeld Consent ist nicht, berührende Nähe zu vermeiden, sondern sie klarer zu gestalten und uns dahingehend zu entwickeln, Berührung zu teilen und zu erleben, die alle Beteiligten stärkt, nährt und mit Freude erfüllt.
Was es dafür braucht, ist psychische, soziale und körperliche Sicherheit. Dann kann somatische Sicherheit entstehen: ein Zustand, in dem der Körper nicht in Verteidigung ist, sondern in Beziehung gehen kann.

Hand aufs Herz

Bist du dir deiner Privilegien bewusst? – Bist du dir bewusst, dass sie es anderen Menschen vielleicht schwer machen könnten, dir wirklich auf Augenhöhe zu begegnen?
Behandelst du alle Menschen gleich – oder gibt es Unterschiede, vielleicht sogar unbewusste? – Gibst du dir mit manchen besonders Mühe, bist extra vorsichtig, überfreundlich oder betont gleichwertig?
Und Hand aufs Herz: Nutzt du deine Privilegien manchmal aus – bewusst oder unbewusst?

Diese Fragen sind keine Einladung zur Schuld, sondern zum Hinsehen. Bewusstsein schafft Wahlmöglichkeiten – und genau hier beginnt Consent: im Erkennen, wo Macht wirkt, und im gemeinsamen Gestalten von Begegnung auf Augenhöhe.

Wenn du tiefer in diese Themen eintauchen möchtest: Entdecke unseren kostenlosen Online-Workshop zum Thema Consent, um die Grundlagen zu verstehen, zu üben und in deinem Alltag zu verankern. Oder erforsche Consent im Körper, im Kontakt und in Beziehung – in unseren zweitägigen Workshops mit Angeline & Rubem in Berlin. Hier findest du alle Angebote und die aktuellen Termine.