Über Einsamkeit, Stress und Berührungsarmut

Berührungsarmut ist ein Phänomen, das leider immer mehr um sich greift. Wir berühren uns seltener und weniger. Sei es aus Angst davor, übergriffig zu wirken oder weil uns die Nähe zu Menschen immer suspekter, vielleicht sogar unangenehmer wird – es geschieht. Virtuell fühlen sich viele Menschen sicherer, was aber fehlt ist der tatsächliche Kontakt. Mensch zu Mensch. Aug in Auge. Haut an Haut. Es gibt mittlerweile viele Theorien über das Warum und Woher von Berührungsarmut und Gottseidank auch immer mehr Studien zu diesem Thema (über die schädlichen Folgen von Berührungsmangel und auch über die vielen positiven Effekte, ja die Notwendigkeit davon Berührung zu leben), welche vielleicht und hoffentlich die Kehrtwende hin zu mehr Berührung einleiten werden.

„Die meisten Depressionen, Burnouts und andere psychosomatische Krankheiten sind zu einem erheblichen Teil das Resultat von einem Mangel an achtsamer Berührung.“ – Martin Grunwald

Blog beruehrunsgarmt, stress und einsamkeit

Einsamkeit

Ist der erwachsene Mensch nicht in der Lage, ein soziales Netzwerk aufzubauen, das ihn in Notfällen auffängt und hat er niemanden oder nur wenige Menschen, um Erfahrungen (Freude und Leid) zu teilen, dann ist er einsam.

Einsamkeit ist nicht nur schmerzhaft, sie bedeutet auch Dauerstress, d.h. einen latent unausgeglichenen Hormonhaushalt, bei dem das auf Dauer schädliche Stesshormon Kortisol überwiegt. Einsamkeit initiiert eine Abwärtsspirale, denn über die Zeit verliert man die Fähigkeit, Verbindung zu anderen Menschen herzustellen, fühlt sich selbst mit Freunden oder in großen Gruppen allein und isoliert, was das Gefühl der Einsamkeit nur noch verstärkt. Oxytocin, das Kuschelhormon, kann diese Abwärts- in eine Aufwärtsspirale verwandeln, da wir durch dessen Anstieg wieder sozialer werden und in der Lage sind, Verbindungen zu anderen Menschen aufzubauen. Wer sich von der Gesellschaft ausgeschlossen und isoliert fühlt, leidet nicht nur seelisch sondern auch körperlich mehr: Eine einfache Erkältung fühlt sich schlimmer an, wenn man auf liebevolle Unterstützung verzichten muss. Einsamkeit schwächt Körper und Abwehrkräfte und Krankheiten können sich leichter ausbreiten. Sie erhöht die Wahrscheinlichkeit, an verschiedenen chronischen Leiden zu erkranken und früher zu sterben. Bei vielen einsamen Menschen entsteht ein Gefühl von ‚Wofür-das-alles?‘ und der Lebenswille sinkt.

„Ich bin so einsam.“ – Teilnehmer bei seiner ersten Conscious Cuddle Experience

Stress

Stress, vor allem Dauerstress, welcher mittlerweile von vielen erlebt wird, ist ein großes gesundheitliches Risiko. Der Körper arbeitet in drei Modi: Entspannungs-, Normal- und Höchstleistungsmodus, Bei Stress ist letzteres der Fall. Läuft der Körper die ganze Zeit im Höchstleistungsmodus, kann er sich nicht regenerieren oder reparieren. Immer mehr Organe und Systeme sind überfordert, arbeiten eingeschränkt oder fallen aus. Andere müssen einspringen und sind umso mehr überlastet. Immer weniger Fäden halten ein Flickengebilde zusammen und irgendwann schaltet sich der Körper ab und tut nichts mehr, außer sich zu regenerieren. Ein klassisches Burnout entsteht, es ist keine Widerstandskraft mehr vorhanden. Selbst minimalste Aufgaben fühlen sich zu viel an und sind überwältigend. Nur im Normalmodus, besonders aber im Entspannungsmodus, arbeitet das Immunsystem mit voller Power, nur dann existieren Reparaturkapazitäten. Alarmierend ist, dass viel Menschen fast ihre gesamte Zeit zwischen Normal- und Höchstleistungsmodus hin und her pendeln und den Entspannungsmodus gar nicht mehr erreichen oder ihn, sollte er eintreten, nicht aushalten können.

„Du hast keine Ahnung, was sich in meinem Lebens schon alles verändert hat.“ – derselbe Teilnehmer nach seiner vierten Conscious Cuddle Experience

Berührungsmangel

Berührungsmangel ist nicht nur für sich allein ein Risiko, er verschlimmert darüber hinaus noch sowohl Einsamkeit als auch Stress bzw. sorgt dafür, dass die Resilienz gegenüber Stress sinkt. Er entsteht meist schon in der Kindheit und kann, wenn er in den ersten Jahren erfahren wird, nicht mehr vollständig aufgefangen werden. Wachstums- und Entwicklungsstörungen, Schwierigkeiten im sozialen Miteinander sind nur einige Folgen. Geschieht der Berührungsmangel später oder erst im Erwachsenenalter, kann durch Nachnähren, z.B. Bonding oder Kuscheltherapie vieles wieder aufgefangen werden.

Die Symptome für Berührungsmangel kann man in zwei Kategorien aufteilen: körperliche und psychische. Körperliche sind u.a. eine Dysbalance des Hormonhaushaltes, der Oxytocinspiegel sinkt und der Kortisolspiegel steigt (angenehme Berührung schafft hier wieder ein Gleichgewicht) und das Gefühl, ein bedürftiges energetisches Loch zu sein, das nichts mehr zu geben hat (Berührung über einen längeren Zeitraum füllt dieses Loch wieder auf). Psychische sind: Neurosen, soziale Phobien und Angststörungen, Burnout und Depression.

Die Auswirkungen von Berührungsmangel und die Versuche der Kompensation sind schwerwiegend: Sucht: Dem Körper werden allerlei Stoffe zugeführt, die für kurze Zeit einen unstillbaren Drang (Unruhe, Nervosität, Leere) beruhigen. Dopamin wird ausgeschüttet, es kommt zu einem Glücksrausch, der sich jedoch relativ schnell wieder abschwächt. In diese Kategorie fallen auch Ess- und Zuckersucht, Alkohol- und Nikotinkonsum oder die Abhängigkeit von Likes und Follows. Abhängigkeit von Erfolg: Wird keine bedingungslose Berührung erlebt, entsteht das Gefühl, erst viel leisten zu müssen, um etwas wert zu sein und Anerkennung zu verdienen. Der Selbstwert ist zu großen Teilen an Erfolg geknüpft. Das Burnout-Risiko ist groß. Kompensation durch Sex: Der Berührungsmangel wird durch Sex kompensiert, was nicht gelingen kann, da es sich um zwei verschiedene Bedürfnisse handelt. Diese Art der Kompensation kann früh erlerntes Verhalten sein oder erst im Erwachsenenalter entstehen. Ein vernachlässigtes Kind, emotional oder körperlich, konzentriert sich nicht selten auf das Berühren der eigenen Geschlechtsteile, auf Selbstbefriedigung. Dieses erlernte Verhalten, die Verknüpfung von Berührung, Wohlgefühl und sexuellem Erleben, kann zu hohem Pornographiekonsum und Sexsucht führen. Sex wird zur Gewohnheit, das Selbst identifiziert sich über sexuelle Leistung. Unterdrückung: Wird das Bedürfnis nach Nähe und Kuscheln nicht befriedigt, unterdrücken einige das Bedürfnis an sich. Menschen, die diese Strategie nutzen, strahlen dann jedoch oft Bedürftigkeit oder eine gewisse Kälte und Härte aus. Sie schützen sich, indem sie nichts mehr an sich heranlassen. Denn das wäre zu gefährlich, würde den Schmerz über die Abwesenheit von Nähe und Intimität zu deutlich spürbar machen. Doch das Unterdrücken von Gefühlen kann zu Lustlosigkeit führen. Langeweile und Energielosigkeit machen sich breit, das Gefühl der Sinnlosigkeit über die eigene Existenz entsteht, die Frage nach dem Sinn des Lebens stellt sich: „Was soll ich noch hier?“ Und so führt die mangelnde Verbindung und fehlende Eingliederung in die Gesellschaft zu Einsamkeit und Depression. Sekten oder auch spirituelle Schulen sind Auffangbecken für diese Menschen, da sie etwas suchen und oft nicht wissen was. Sie greifen nach jedem Strohhalm, um sich endlich besser zu fühlen. Bedürftigkeit: Bedürftige Menschen gehen Beziehungen ein, um sich davor zu schützen, allein zu sein. Sie passen sich meist sehr an, haben wenig Selbstwert, wollen es allen recht machen und leben (schlechte) Kompromisse. „Alles ist besser, als allein zu sein.“ In diese Kategorie fallen die ‚Peoplepleaser‘, die sich aufopfern, geben und geben, um endlich und fairerweise etwas zurückzubekommen. Eine Rechnung, die nie aufgeht.

Berührungsmangel kann nur durch Berührung geheilt werden. Leidet der Mensch stark daran, ist er meistens schon in Behandlung (z.B. in Psychotherapie), weil er einfach nicht mehr weiterweiß und nichts zu helfen scheint. So kann beispielsweise die Gesprächstherapie allein hier nicht helfen. Sie kann Erkenntnisse bringen, das Gefühl, endlich gehört und verstanden zu werden, gesehen im Schmerz, nur heilen kann sie Berührungsmangel nicht. Mit ihrer Hilfe versteht der Mensch im ersten Schritt, was ihm fehlt. Doch um das empfundene Defizit auszugleichen, braucht es die körperliche Erfahrung.

Wann die nächste Kuschelparty ist erfährst du hier.

„Ohne körperliche Nähe können wir nicht gesund und glücklich leben.“ – Martin Grunwald
kuschlen hilft bei beruehrungsmangel
kuscheln hilft bei einsamkeit